BONUS: Der Winterball
Diese Geschichte ist zuerst als Silvester-Special in „Winter Wishes. Ein Adventskalender“ (2023, Ravensburger Verlag) erschienen.
»Komm schon, Darla.«
»Nein.« Ich sah nicht mal von den ganzen Listen in meinen Händen auf. Es war fast Mitte Dezember und meine Planung schon jetzt ein einziges Chaos. Wir brauchten vierzig Stühle mehr als ursprünglich angenommen, und mindestens zwei weitere Torten für den Winterball. Außerdem fehlten uns Kerzen, eine der Klebepistolen war kaputtgegangen und …
»Was wäre so schlimm daran, mich zu daten?«
Ich erstarrte. Max lief neben mir her, als wäre es das Normalste der Welt. Als würden wir ständig zusammen über den Campus der Pine Hills University spazieren, dabei war das nie zuvor passiert. Er und ich lebten in völlig unterschiedlichen Welten. Und das war auch gut so.
»Willst du wirklich eine Antwort darauf?« Ich vermied es noch immer, ihn anzusehen und starrte stur geradeaus, auf das Winterwunderland, das uns umgab. Jeder Atemzug kondensierte in der frostigen Luft und ich zog meinen bunten Schal etwas höher. »Wenn ich jetzt anfange, bin ich bis Silvester nicht fertig.«
»Autsch. Okay.« Er geriet kurz ins Straucheln, stellte sich dann jedoch direkt vor mich, was mich dazu zwang, ebenfalls stehen zu bleiben. Und ihn endlich anzusehen.
Er war größer als ich, hatte die breiten Schultern eines Footballspielers, das Lächeln eines Herzensbrechers und den Verstand eines Nerds. Dazu kurzes, dunkelbraunes Haar und diese unglaublich blauen Augen, an die ich in der Vergangenheit viel zu oft hatte denken müssen … verflucht. Ich riss mich zusammen.
»Falls du es vergessen hast: Du und ich sind nicht gerade die besten Freunde«, zischte ich.
Ganz im Gegenteil. Seit vier Jahren hasste ich diesen Kerl. Wenn er neben mir der letzte Mensch auf der Welt wäre, würde ich ihn zurücklassen. Ohne zu zögern. Und jetzt wollte er, dass ich mit ihm ausging? Dass ich so tat, als würde ich ihn mögen?
Max machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und wenn schon. Das wäre nicht die erste Liebesgeschichte, die damit beginnt, dass zwei Leute sich nicht ausstehen können.«
Ich verdrehte die Augen und ging weiter. Leider hatte das Glatteis unter meinen Füßen andere Pläne. Alles geschah so schnell, dass ich nicht reagieren konnte. Ich rutschte aus und sah schon den Boden auf mich zu rasen – als Max die Arme von hinten um mich schlang und mich festhielt.
Zögernd lehnte ich mich an ihn. Mein Herz hämmerte nur aufgrund des Schrecks so schnell. Das war der einzige Grund. Ganz bestimmt.
»Überleg doch mal«, raunte er in dieser tiefen Stimme an meinem Ohr, die ein heißes Prickeln in mir auslöste und mich beinahe vergessen ließ, warum ich ihn hasste. »Das ist eine Win-Win-Situation für uns beide. Du bekommst die Hilfe bei der Organisation des Winterballs, die du dringend nötig hast, und ich beeindrucke unsere Lieblingsdozentin, damit sie mich nicht durchfallen lässt.«
Und so schnell hatte mich die Realität wieder. Ich stieß ihm den Ellbogen in die Rippen und machte mich von ihm los. Als ich mich diesmal in Bewegung setzte, achtete ich genauestens darauf, wo ich auf dem schnee- und eisbedeckten Boden auftrat. »Das wird niemals funktionieren. Glaubst du echt, nur weil du bei der Vorbereitung des Balls hilfst, lässt O’Leary dich nicht durchfallen?«
Max war sofort wieder an meiner Seite. Mit seinen langen Beinen hielt er mühelos mit mir Schritt. »Sie liebt den Winterball. Sie hat das ganze Semester über von nichts anderem geredet. Es ist praktisch ihr Baby.«
»Aber sie ist nicht dumm. Sie wird wissen, dass du etwas im Schilde führst.«
»Darum ist mein Plan ja auch perfekt. Wenn du und ich so tun, als würden wir daten, denkt sie, ich mache das nur für dich. Für meine Freundin. Ganz ohne Hintergedanken.« Er stellte sich mir ein weiteres Mal in den Weg. Und jetzt wagte er es auch noch, nach einer meiner hellbraunen Locken zu greifen und sie mir hinters Ohr zu schieben. Diese Geste war viel zu intim. Und er war mir viel zu nahe. Außerdem wummerte es schon wieder viel zu schnell in meiner Brust. »Was hast du schon zu verlieren?« Er senkte die Stimme zu einem herausfordernden Raunen und ein Funkeln trat in seine Augen. »Etwa dein Herz?«
Ich lachte hohl und schlug seine Hand beiseite. »Das hättest du wohl gern.«
Damit er meinen Namen auf seine lange Liste von Eroberungen schreiben und mit seinen Footballfreunden über mich reden konnte? Nein, danke. Das würde nicht passieren. Außerdem hatte er mir schon vor vier Jahren, als wir noch zusammen zur Highschool gegangen waren, ins Gesicht gesagt, mich niemals auch nur anrühren zu wollen. Deutlicher ging es kaum.
»Dann wäre das ja geklärt.« Er lächelte zufrieden. »Ich helfe dir und du hilfst mir. Wann kann ich anfangen?«
***
Zwei Wochen später konnte ich noch immer nicht fassen, dass ich mich wirklich auf diesen absurden Deal eingelassen hatte. Ich musste kurzzeitig den Verstand verloren haben, aber wie hieß es so schön? In der Not frisst der Teufel Fliegen.
Zu meinem Leidwesen hatte Max die Lage richtig eingeschätzt: Ich brauchte dringend Unterstützung. In der dritten Dezemberwoche waren mir drei Leute abgesprungen und zwei andere krank geworden, darunter auch Mitglieder der Band, die auftreten sollte. Sogar das Catering hatte kurzzeitig auf der Kippe gestanden. Glücklicherweise hatten sich Maven und ihre Familie von Ginger Bread als Retter in der Not erwiesen.Sie waren von Anfang an mein Favorit gewesen und würden nun mit Kuchen und Gebäck einen Teil des Caterings übernehmen. Doch das war nur ein winziges Detail in der gesamten Planung – und für jedes gelöste Problem traten ständig neue auf.
»Hey.« Max spazierte in die große Festhalle der Universität, in der auch der Ball stattfinden würde, und begrüßte mich wie jeden Morgen mit einem Kuss auf die Wange.
Die anderen freiwilligen Helferinnen und Helfer hatten sich schon längst an seine Anwesenheit gewöhnt und kommentierten das nicht weiter. Sogar ich hatte mich ein bisschen daran gewöhnt – und es fiel mir immer schwerer, mir ins Gedächtnis zur rufen, dass nichts davon echt war. Max’ Freundlichkeit, sein unermüdlicher Einsatz von morgens bis abends, die langen Blicke und sanften Berührungen dienten nur einem einzigen Zweck: Seinen Notendurchschnitt zu sichern, damit er nicht seine Prüfungen oder sogar das ganze Semester wiederholen musste. Nur deshalb half er mir dabei, dieses Event auf die Beine zu stellen, damit ich nicht als totale Versagerin dastand. Das war alles. Wir waren nicht wirklich zusammen. Wir waren nicht verliebt. Wir waren nichts füreinander. Daran würde auch dieser Deal nichts ändern. Am Ende hatten wir hoffentlich beide einfach nur das daraus gewonnen, was wir wollten. Mehr nicht.
»Wie sieht’s aus?« Max rieb sich die Hände und warf mir ein vorfreudiges Lächeln zu. »Was steht heute an?«
In den letzten beiden Wochen hatte Max mehr Einsatz gezeigt, als ich ihm je zugetraut hätte. Er half dabei, Schneeflocken und Sterne zu falten und sie an der Hallendecke zu befestigen, schaffte Werkzeug herbei, fuhr quer durch die Stadt, um alles zu besorgen, was noch fehlte, und brachte mir sogar Kaffee wie ein Vorzeigefreund. Er half auch dem restlichen Team dabei, die nötige Anzahl an Stühlen und Tischen zu beschaffen und rückte sie ohne zu murren um, ganz egal, wie oft ich sie an einer anderen Stelle haben wollte. Morgens kam er als einer der Ersten und abends ging er als einer der Letzten. Manchmal blieben wir sogar ganz allein in der halb dekorierten Festhalle zurück, wenn alle anderen längst nach Hause gegangen waren. Je näher der Winterball rückte, desto mehr war zu tun – und desto mehr Zeit verbrachten wir miteinander. Und irgendwie … fing ich an, es zu genießen. Auch wenn ich das Max gegenüber niemals zugegeben hätte. Er würde mich für den Rest meines Lebens damit aufziehen.
»Hallo zusammen! Frohe Weihnachten!«, rief meine beste Freundin July, die mit einem riesigen Korb voller Zimtschnecken hereinspazierte.
Ich umarmte sie zur Begrüßung und sicherte mir eine Zimtschnecke, bevor sich alle anderen wie ausgehungerte Wölfe darauf stürzten.
»Ist das Max?«, fragte July und nahm mich zur Seite. Ich folgte ihrem Blick und entdeckte Max, der sich am Rand der provisorischen Tanzfläche mit einer Gruppe anderer Helfer unterhielt. »Ich wusste gar nicht, dass er auch im Planungskomitee ist.«
Kein Wunder. In den letzten Wochen waren wir beide so beschäftigt gewesen, dass ich ihr nichts von ihm erzählt hatte. Warum auch? Es war sowieso alles nur fake.
»Ist er auch nicht«, murmelte ich und biss in meine Zimtschnecke. Der köstliche Geschmack beruhigte meine angespannten Nerven sofort und ich seufzte genüsslich.
»Dann hilft er also freiwillig?«
»Mhm.«
In diesem Moment sah er in unsere Richtung – genauer gesagt in meine, denn July schien er gar nicht wahrzunehmen. Als sich unsere Blicke trafen, wurde mir schlagartig warm und ein verräterisches Kribbeln meldete sich in meinem Bauch.
July deutete zwischen uns hin und her. »Sieht nicht so aus, als würde er bloß helfen, weil er plötzlich seine Leidenschaft für den Winterball entdeckt hat.«
Ich schüttelte den Kopf und wandte mich abrupt ab, bevor ich noch an Ort und Stelle in Flammen aufging. Meine Wangen glühten. »Wir haben einen Deal und helfen uns gegenseitig. Das ist alles.«
»Bist du da ganz sicher?«
»Ja.« Die Antwort kam schnell. Vielleicht ein bisschen zu schnell.
Ich ignorierte Julys wissendes Lächeln und stürzte mich wieder in die Arbeit. Die Zeit zerrann mir förmlich zwischen den Fingern und es gab noch so viel zu tun. Ich merkte nicht einmal, wie es immer später und leiser um mich herum wurde, während draußen längst die Nacht über Pine Hills hereingebrochen war.
Frustriert beugte ich mich über die Sitzordnung, die ich auf einem der Tische vor mir ausgebreitet hatte. Ich gab es wirklich nicht gern zu, aber ich hatte mich verkalkuliert. Irgendwie musste ich noch Platz für zehn zusätzliche Gäste schaffen, weil ich die Begleitung des Lehrpersonals vergessen hatte. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich nun dafür sorgen sollte, dass sie …
Ohne Vorwarnung stellte sich Max hinter mich und warf einen Blick über meine Schulter auf den Tisch. Ich erstarrte und wagte es nicht, mich zu rühren. Ich wagte es nicht einmal, zu atmen, weil mir dann unweigerlich sein inzwischen viel zu vertrauter Duft in die Nase dringen würde. Als wäre die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, nicht schon schlimm genug.
Ich räusperte mich. »Was wird das?«
Schließlich gab es niemanden mehr zu beeindrucken. Wir waren allein. Wir mussten nicht mehr so tun, als wären wir ein verliebtes Pärchen.
Max ignorierte meine Frage. »Hm«, machte er viel zu nahe an meinem Ohr und schob ein paar Figuren vor uns auf dem Tisch in eine neue Sitzordnung. »Wie wäre es so?«
Ich runzelte die Stirn. »Das … könnte funktionieren«, gab ich widerwillig zu. »Wo hast du das gelernt?«
Wie selbstverständlich legte er die Hand an meine Taille. »Das kommt ganz automatisch, wenn man so oft Schach oder Dungeons and Dragons spielt. Man lernt, alles im Blick zu behalten und sich alle möglichen Szenarien auszudenken.«
Mit klopfendem Herzen drehte ich mich zu ihm um. Seine Hand blieb, wo sie war, und machte es mir schwer, klar zu denken.
»Danke.« Es war nur ein Wispern, weil er so dicht vor mir stand – und nicht zurücktrat. Wenn überhaupt, kam er noch ein kleines bisschen näher, was meinen Puls weiter in die Höhe schnellen ließ.
Sein Blick war unergründlich. »Dir ist der Winterball wirklich wichtig, was?«
»Das ist meine große Chance.« Ich sah mich in der Festhalle um. Die Hälfte der Tische und Stühle war noch nicht aufgestellt und in der hinteren linken Ecke mussten wir die Deko neu anbringen, da sie sich von der Wand gelöst hatte. Morgen war schon Weihnachten und nichts war fertig. »Eine andere Chance bekomme ich nicht.«
Wenn der alljährliche Winterball am Silvesterabend kein Erfolg wurde, konnte ich genauso gut einpacken und etwas anderes studieren. Dann hätte ich meine erste große Veranstaltung in den Sand gesetzt und mein Traum von einer Karriere als Eventmanagerin wäre vorbei. Ich hatte zu lange und zu hart dafür gearbeitet, um zuzulassen, dass das geschah. Der Ball musste ein Erfolg werden.
»Du machst dir zu viele Sorgen.« Max strich über meine Stirn, als wollte er die Falten darin glätten, und mein Blick zuckte zu ihm zurück. »Es wird fantastisch werden.«
»Wie kannst du da so sicher sein?«
Denn ich war es nicht. Die Selbstzweifel in meinem Kopf waren viel zu laut. Und das Chaos um uns herum bestärkten sie nur noch.
Seine Finger glitten über meine Wange, bis zu meinem Kinn hinunter und hinterließen ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut. »Weil ich dir die letzten zwei Wochen zugeschaut habe. Wenn das jemand hinbekommt, dann du.«
Sein Blick landete auf meinen Lippen und ich hielt unwillkürlich den Atem an. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass wir allein waren. Die anderen waren längst zur Weihnachtsparty im Wohnheim gegangen. Es überraschte mich, dass Max nicht ebenfalls dort war, sondern hier. Bei mir.
Langsam, fast unmerklich beugte er sich ein bisschen zu mir herunter. Mein Herzschlag verdreifachte sich. Würde er etwa …?
Ein lautes Räuspern ließ mich zusammenzucken. Hastig machte ich mich von ihm los.
»Darla.« Professorin O’Leary stand in der Tür. Kurz wanderte ihr Blick zwischen Max und mir hin und her, dann nickte sie mir knapp zu. »Schön, dass ich Sie noch erwische. Wie ist der aktuelle Stand?«
»Oh. Natürlich.« Ich ignorierte sowohl Max als auch das Zittern in meinen Händen, während ich einen Haufen Listen und meine Mappe zusammensuchte, und damit zu unserer Dozentin eilte. Ich gab ihr ein Update und wies sie vorsichtig auf das knapp werdende Budget hin.
Die ganze Zeit über wanderte die Professorin durch die Halle, fasste hier etwas an, rückte dort etwas zurecht und betrachtete jedes Detail mit kritischem Blick, während ich neben ihr herlief. Max’ Anwesenheit kommentierte sie mit keinem Wort, und ich hatte nicht die geringste
Ahnung, ob sein Plan aufging. Aber während er sich nur für seinen Notendurchschnitt interessierte, war mir der Winterball wirklich wichtig. Genau das wollte ich nach meinem Abschluss tun: Events organisieren. Menschen glücklich machen. Träume wahr werden lassen. Alles bis ins kleinste Detail planen und auf eine Weise umsetzen, die jede Erwartung übertraf. Dass ich dieses Jahr zum ersten Mal den Silvesterball der Pine Hills University organisieren durfte, war meine Chance, mich zu beweisen.
Und beinahe hätte ich mich ausgerechnet von Max davon ablenken lassen. Der Gedanke traf mich hart, als wir alle zusammen nach draußen traten. Bis auf die Festhalle war das ganze Universitätsgebäude dunkel.
»Machen Sie weiter so«, sagte Professorin O’Leary und lenkte meine Aufmerksamkeit damit zurück auf die wichtigen Dinge. »Dann wird der Winterball ein voller Erfolg. Ich vertraue Ihnen.«
Ich strahlte und drückte die Mappe mit allen Listen und Notizen an meine Brust. »Danke. Das werde ich!«
»Das werden wir beide«, klinkte Max sich ein und legte den Arm wie selbstverständlich um meine Schultern.
Ich versteifte mich. Nichts hiervon war echt, rief ich mir in Erinnerung. Er wollte nur O’Leary beeindrucken und seinen eigenen Hintern retten. Und ich … Himmel, hatte ich vorhin wirklich geglaubt, dass er mich küssen würde? Er? Mich? Ja, klar. Nicht in einer Million Jahren.
Entschieden schob ich all diese Gedanken und Gefühle beiseite. Es gab nur eine einzige Sache, auf die ich mich in den nächsten Tagen konzentrieren musste, und das war der Winterball.
***
Sieben Tage – und ein für mich eher wenig entspanntes Weihnachtsfest mit der Familie – später war es endlich so weit: Silvester war da. Der Abend des Winterballs. All das, wofür ich so hart gearbeitet hatte. Meine Haut kribbelte vor Nervosität und Vorfreude gleichermaßen, während ich durch den geschmückten Saal lief, der wie ein Winterwunderland aussah: Von den Tischgedecken über die Dekoration war alles in Weiß, Silber und Blau gehalten. Schneeflocken hingen von der Decke, Lichterketten und Windlichter sorgten für die passende Stimmung. Irgendwie hatten wir es sogar geschafft, die Tische und Stühle so in der Festhalle zu platzieren, dass genug Platz für eine Tanzfläche in der Mitte blieb.
»Wow«, flüsterte ich, als hätte ich nicht bis zur letzten Sekunde selbst Hand angelegt. Dennoch war ich vom Ergebnis überwältigt.
Max trat neben mich. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd, in dem er viel zu gut aussah. »Das kannst du laut sagen.« Doch sein Blick lag nicht auf der liebevoll dekorierten Halle, nicht auf den herabhängenden Schneeflocken, den gedeckten Tischen oder dem flackernden Licht der vielen Kerzen. Sein Blick lag einzig und allein auf mir. »Du siehst unglaublich aus.«
Wärme breitete sich in meinen Wangen aus und ich senkte den Blick, um mein Kleid zu betrachten. Es war champagnerfarben, oben eng anliegend, mit Strasssteinen verziert und fiel von der Taille sanft bis zum Boden. Ich zupfte am weichen Stoff und sah wieder zu Max. »Danke.«
Er lächelte und ich musste – widerwillig – zugeben, dass wir ein hübsches Paar abgaben, selbst wenn wir das nicht wirklich waren. Trotzdem schien in diesem Moment alles perfekt zu sein.
Draußen hörte ich das Klappern von Hufen und Klingeln von kleinen Glöckchen, was nur eins bedeutete: Die ersten Paare kamen mit dem Pferdeschlitten von Nates Familie an. Zuerst war July nicht besonders begeistert davon gewesen, den Service für den Ball zu nutzen, doch nach einer verdeckten Recherche, bei der beinahe alles schiefgegangen wäre, hatten sich ihre Vorbehalte in Luft aufgelöst. Seither waren sie und Nate praktisch unzertrennlich.
Und jetzt würde es jeden Moment losgehen.
Max hielt mir seinen Arm hin. »Bereit für den Winterball?«
Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann hakte ich mich lächelnd bei ihm unter. »Bereit.«
Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Die Gäste strömten in die Festhalle und ehe ich mich versah, war der Ball in vollem Gange. Auf der Bühne gaben Monroe und Keats die Performance ihres Lebens und begeisterten nicht nur die Studierenden, sondern auch das Lehrpersonal. Max hatte den Auftritt organisiert, nachdem die ursprüngliche Band ausgefallen war. Noch so eine Sache, für die ich ihm dankbar sein konnte.
»Danke, Lizzy«, sagte ich lächelnd, während sie mit wippenden Korkenzieherlocken in einem schwarz-weißen Serviceoutfit und auf ihre übliche strahlende Art wie im Café Coffee Therapy leere Gläser und Teller abräumte. Lizzy war die Rettung in der Not gewesen. Es war sowieso schon schwer gewesen, für diesen Abend genügend Servicepersonal zu bekommen. Als dann auch noch eine Absage nach der anderen eintrudelte, wäre ich fast verzweifelt. Außerdem hatte Lizzy auch noch Oliver mitgebracht, der geflissentlich von Tisch zu Tisch lief. Allerdings entgingen mit nicht die verliebten Blicke, die er Lizzy dabei zuwarf.
Als ich weiterzog, um überall nach dem Rechten zu sehen und sicherzugehen, dass alle Spaß hatten, entdeckte ich Max im Gespräch mit Professorin O’Leary.
»Gute Arbeit.« Sie nickte Max wohlwollend zu, der aussah, als wäre ihm ein ganzes Gebirge vom Herzen gefallen. Obwohl ich so meine Zweifel gehabt hatte, hatte Max recht behalten. Nachdem er dabei geholfen hatte, ihren heiß geliebten Winterball zu organisieren, würde O’Leary ihn mit Sicherheit nicht durchfallen lassen.
Ich freute mich für ihn. Das tat ich wirklich. Und ich hätte nicht auf seine Hilfe verzichten können, also hatte der Deal uns beiden etwas gebracht. Trotzdem kam ich nicht gegen diese leise Bitterkeit in mir an …
»Also du und Darla?«, hörte ich plötzlich einen von Max’ Footballkumpel viel zu laut rufen, dicht gefolgt von einem ungläubigen Lachen. »Was ist da los? Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mal gesagt hast, du würdest nie im Leben etwas mit ihr anfangen.«
Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Kälte rieselte mein Rückgrat hinab. Und obwohl ich auf dem Winterball war, umgeben von tanzenden und fröhlichen Menschen, kam es mir auf einmal so vor, als wäre ich in die Vergangenheit zurückkatapultiert worden.
Vier Jahre zuvor. In der Highschool. Max und ich hatten auf dem Flur wieder mal über irgendetwas gestritten. Seltsam, dass ich mich nicht mehr daran erinnerte, worüber wir so hitzig diskutiert hatten. Dafür hatte sich alles, was danach passiert war, geradezu in mein Gedächtnis eingebrannt. Denn Max hatte lautstark verkündet, nein, sogar geschworen, dass er niemals, wirklich nie im Leben, etwas mit mir anfangen würde. Was ziemlich beschissen war, denn jeder im Flur hatte es gehört. Wirklich jeder. Und ich war zu der Zeit auch noch so dumm gewesen, in ihn verliebt zu sein …
Ich hatte gedacht, das damals hätte schon wehgetan. Und ich war davon überzeugt gewesen, es überwunden zu haben. Doch heute fast dieselben Worte zu hören, nachdem wir die letzten Wochen zusammen verbracht und gemeinsam den Winterball vorbereitet hatten – das tat noch viel mehr weh.
Mir war nicht klar, dass ich mich wieder in Bewegung gesetzt hatte und fluchtartig aus der Halle lief, bis ich draußen Max’ Stimme hinter mir hörte. »Darla!«
Ich wirbelte zu ihm herum. Wir standen vor der Universität. Schnee glitzerte um uns herum und gedämpfte Musik drang aus dem Inneren. Jeder meiner schnellen Atemzüge hinterließ eine kleine Wolke in der kalten Winterluft.
»Keine Erklärungen nötig«, zischte ich. »Ich habe schon vor vier Jahren verstanden, dass du dir niemals vorstellen könntest, mit mir zusammen zu sein. Das muss ich mir nicht noch mal anhören, vielen Dank auch. Außerdem hast du dein Ziel erreicht, oder nicht?« Ich deutete an ihm vorbei auf die Festhalle. »O’Leary ist begeistert von dir und wird dich das Semester bestehen lassen. Und ich hatte die nötige Hilfe bei den Vorbereitungen. Wir haben beide genau das bekommen, was wir wollten, also lass uns das hier ein für alle Mal beenden.« Ohne seine Reaktion abzuwarten, wandte ich mich ab.
Hinter mir ertönten schnelle Schritte. »Warte, Darla!«
Ich ignorierte ihn und eilte weiter, stapfte durch den Schnee, in irgendeine Richtung. Einfach nur weg von hier. Weg von dem Schmerz in meiner Brust. Weg von ihm.
»Ich hab das nur gesagt, weil du mir eine Scheißangst eingejagt hast.«
Mit einem Mal blieb ich stehen. Meine Gedanken rasten. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ganz langsam drehte ich mich zu ihm um. »Wie bitte? Ich? Dir?« Beinahe hätte ich aufgelacht, weil das so absurd klang, aber er verzog keine Miene.
»Es ist die Wahrheit«, beharrte er und kam langsam näher. Mit jedem Schritt wurde sein Blick intensiver, bis er direkt vor mir stehen blieb. »Du hast immer noch keine Ahnung, welche Wirkung du auf mich hast, oder? Damals und heute.«
Langsam schüttelte ich den Kopf. »Nichts davon ist echt. Wir haben nur so getan, als wären wir –«
Max presste seinen Mund auf meinen und brachte mich so zum Schweigen.
Schock war die erste Reaktion. Doch dann drangen all die unterdrückten Gefühle an die Oberfläche, all die Wut und die Sehnsucht, der Hass und das Verlangen, die sich im Laufe der letzten Jahre in mir aufgestaut hatten. Wie von selbst gruben sich meine Finger in den Stoff seines Jacketts und ich begann, den Kuss zu erwidern. Kein Nachdenken. Kein Grübeln. Nur noch fühlen.
Max schlang die Arme um mich und zog mich fest an sich, währender mich küsste, als gäbe es kein Morgen mehr. Als hätte er genauso sehr auf diesen Moment gewartet, sich genauso sehr danach gesehnt wie ich.
»Glaubst du mir jetzt?«, raunte er, als wir uns voneinander lösten, weil wir beide dringend atmen mussten.
»Ich dachte, es wäre alles nur fake?«, flüsterte ich.
»War es auch«, gab er ebenso leise zu und legte seine warme Hand an meine Wange. »Zumindest war das am Anfang der Plan. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt ist es echt.«
»Obwohl ich dir eine Scheißangst einjage?«
Seine Mundwinkel zuckten. »Gerade deshalb. Du bist der einzige Mensch, der es geschafft hat, mir so wichtig zu werden, dass ich Angst habe, ihn zu verlieren. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, das zu erkennen.«
Ich lächelte langsam. Er meinte es ernst, das konnte ich ihm ansehen.
»Lass uns tanzen«, schlug er unvermittelt vor.
Ich blinzelte überrascht. »Warum?«
»Weil du es dir nach all der harten Arbeit verdient hast. Außerdem ist es echt kalt hier draußen.« Ohne ein weiteres Wort schloss Max seine Hand um meine und zog mich wieder ins Innere, an den Tischen vorbei in Richtung Tanzfläche.
Im Vorbeigehen erhaschte ich einen Blick auf so viele Leute, die mir während des Studiums ans Herz gewachsen waren, mit denen ich täglichen in den Vorlesungen saß oder die ich zumindest flüchtig kannte. Da waren Lillie und Jonah, die zusammen an einem der Tische saßen und total vertraut wirkten. Wenige Meter entfernt stand Liam, den ich ewig nicht mehr gesehen hatte, weil er woanders studierte. Er war mit einem attraktiven Fremden auf dem Ball und schien nur Augen für ihn zu haben. Im Vorbeigehen nickte Ryan, der Quarterback unserer Mannschaft, den ich zum ersten Mal ohne sein typisches Basecap sah, seinem Teamkollegen Max zu, dann widmete er sich wieder ganz Katie. Die beiden hatten Weihnachten – wie viele andere Studierende – zu Hause verbracht, es sich aber nicht nehmen lassen, rechtzeitig zum Winterball nach Pine Hills zurückzukehren.
Auf der Tanzfläche entdeckte ich Sadie und Grace, die in ihren farblich aufeinander abgestimmten Abendkleidern in Smaragdgrün und Mitternachtsblau wunderschön aussahen. Und da war auch noch Pine Hill, die Tochter der Gründerfamilie der Stadt, in den Armen von … Wow. War das etwa unser heißer Austauschstudent Jean? Mit ihrem blutroten Ballkleid und seiner legeren Aufmachung wirkten die beiden, als wären sie geradewegs einem Märchen entsprungen.
Ohne Vorwarnung zog Max mich an sich, sodass meine Aufmerksamkeit wieder auf ihm landete. Ich war so von seinem eindringlichen Blick gefangen, dass ich nicht einmal merkte, wie wir uns zur Musik zu bewegen begannen. Der sehnsüchtige, verlangende Ausdruck in seinen blauen Augen ließ meinen Atem stocken, und ein Kribbeln breitete sich in mir aus.
»Das vorhin war mein Ernst.« Max beugte sich zu mir, bis seine Stirn beinahe meine berührte und ich seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. »Ich will dich, Darla. Ich will, dass wir … also, dass wir … wenn du das auch möchtest.«
»Was fragst du da …?«
»Willst du mit mir zusammen sein, Darla? Ganz real – ohne Winterball, ohne jemanden beeindrucken zu wollen. Nur du und ich.«
Meine Gedanken rasten und mein Herz zersprang förmlich in meiner Brust, aber es gab nur eine mögliche Antwort auf diese Frage: »Ja.«
Sein Lächeln war so strahlend, so erleichtert, dass ich gar nicht anders konnte, als es zu erwidern. Genau wie den Kuss, den er mir mitten auf der Tanzfläche gab. Lachend lösten wir uns voneinander und er wirbelte mich herum, nur um mich gleich darauf wieder dicht an sich zu ziehen. Ich schlang die Arme um seinen Hals und vergaß alles um uns herum.
So lange hatte ich gedacht, ich würde Max hassen, dabei war etwas ganz anderes zwischen uns gewesen. Und es hatte nur den Winterball und einen verzweifelten Deal gebraucht, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Gerade noch rechtzeitig, um nicht noch mehr Zeit zu verschwenden, sondern das neue Jahr gemeinsam beginnen zu können.
Kurz vor Mitternacht versammelten wir uns mit allen Anwesenden draußen vor dem Hauptgebäude der Pine Hills University. Als der Countdown heruntergezählt war, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste Max pünktlich um Mitternacht, während das Feuerwerk begann und um uns herum gejubelt und geklatscht wurde.
»Frohes neues Jahr«, wisperte Max.
»Frohes neues Jahr«, erwiderte ich lächelnd.
Der Dezember hatte so viel verändert. Ich war überglücklich und erleichtert, aber vor allem unglaublich gespannt darauf, was das neue Jahr für uns alle bereithalten würde.
ENDE