BONUS: Das letzte erste Weihnachtsfest
Luke
Das Knarzen von Holz weckte mich. Vielleicht war es auch der Wind, der um die Hütte pfiff. Blinzelnd öffnete ich die Augen und starrte auf die weiße Masse auf dem Balkon. Elle und ich waren gestern erst spätabends angekommen, und es schien die halbe Nacht geschneit zu haben. Shit. Wahrscheinlich musste ich den Weg freiräumen, damit die anderen überhaupt herkommen konnten. Seltsamerweise erfüllte mich der Gedanke, in die Kälte rauszugehen, mit einer irrsinnigen Vorfreude.Ich drehte den Kopf und betrachtete die schlafende Person neben mir. Früher hätte ich nicht mal für Geld das Bett mit jemand anderem geteilt. Jetzt konnte ich es mir kaum noch anders vorstellen. Elle lag auf der Seite, mit zerwuschelten blonden Haaren, und war kaum unter der dicken Decke auszumachen.
In Momenten wie diesen konnte ich es einfach nicht glauben, dass das jetzt mein Leben war und ich beinahe jeden Tag neben der Frau aufwachen durfte, die mir die Welt bedeutete. Meine beste Freundin, die so tief schlief, dass nichts und niemand sie anständig wecken konnte. Elle würde sogar den Weihnachtsmann verschlafen, wenn er samt Schlitten und Rentieren durch den Kamin geschossen käme.
Wie gut, dass ich sie mittlerweile gut genug kannte, um zu wissen, auf welche Weise ich sie am besten wecken konnte. Nicht sonderlich effektiv, aber dafür umso angenehmer für uns beide.
Ich lehnte mich zu ihr hinunter, strich ihr das Haar zur Seite und setzte einen Kuss auf die zarte Haut ihres Halses. Selbst im tiefsten Winter duftete dieses Mädchen nach Frühling. Keine Ahnung, wie sie das schaffte. Ich wusste nur, dass ich einfach nicht genug davon bekam. Genauso wenig wie von ihr.
„Aufwachen, Schätzchen“, raunte ich und knabberte an ihrem Ohrläppchen.
Elle bewegte sich, rutschte näher heran, wachte aber nicht auf. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Manchmal glaubte ich, dass sie das mit Absicht tat, doch an anderen Tagen, an denen sie wirklich aufstehen musste, weil sie eine Vorlesung hatte oder ich frühmorgens zu einem Rennen fuhr und mich von ihr verabschieden wollte, war sie einfach nicht wach zu kriegen.
Heute Morgen, an Heiligabend und fernab vom Campus und anderen Menschen, würde ich alles einsetzen, was ich über sie gelernt hatte, um sie nach allen Regeln der Kunst zu wecken. Angefangen mit sanften Küssen auf ihren Hals und ihre Schulter, während meine Hand an ihrer Seite hinabwanderte.
Elle seufzte leise und schmiegte sich näher an mich, als ich mit der Hand unter den dünnen Stoff ihres T-Shirts schlüpfte. Mit den Fingern strich ich über ihre weiche, warme Haut, erst in kleinen Kreisen, dann langsam aufwärts, bis …
Ein lautes Klopfen.
Ich fuhr zusammen und setzte mich ruckartig auf. Elle schlief einfach weiter. Natürlich.
Stirnrunzelnd starrte ich zur Tür, doch das Klopfen war nicht von dort gekommen, sondern schien weiter entfernt zu sein. Beinahe so, als …
Wieder ein Hämmern. Diesmal konnte ich es ohne jeden Zweifel zuordnen.
„Was zum Teufel …?“
Ich stieg aus dem Bett und tappte nur in Shorts die Treppe hinunter. Das Feuer im Kamin war mittlerweile ausgegangen. In der Ecke daneben stand ein riesiger Weihnachtsbaum, den Elle und ich gestern noch bis spät in die Nacht geschmückt hatten. Die Lichterkette hing etwas schief, und an einer Stelle war zu viel Lametta, trotzdem war ich irgendwie stolz auf unser Werk.
Wieder ein Hämmern.
„Ich komm ja schon!“
Sekunden später riss ich die Tür auf.
„Ho ho ho!“, rief Mason, schob sich an mir vorbei und brachte neben einer Ladung eiskalten Winds auch noch eine verschneite Band mit.
„Was wollt ihr denn schon hier?“
„Wir sind früher losgefahren“, erklärte Jesse gut gelaunt.
„Entschuldige“, warf Grace zerknirscht ein, die als Nächstes hereinkam, dicht gefolgt von Paxton, Kane und dessen Freundin Myung-hee.
„Ich freu mich auch, dich zu sehen.“ Mason grinste in die Runde. „Stören wir?“
„Jetzt nicht mehr“, knurrte ich und machte mich wieder auf den Weg nach oben, um zu duschen, mich anzuziehen und Elle auf eine ganz konventionelle Weise zu wecken. Nämlich mit dem kreischenden Alarm eines Weckers direkt neben ihrem Ohr.
Eine halbe Stunde später kam sie – mir noch immer Schimpfwörter an den Kopf werfend – in die Küche, um alle zu begrüßen. Mittlerweile waren auch Trevor und Tate mit Mackenzie und ihrer Freundin Desiree eingetroffen.
Es war nicht das erste Mal, dass wir für ein paar Tage in diesem Ferienhaus in den Bergen waren, aber es war das erste Weihnachten, das wir alle zusammen hier verbrachten. Wir waren so viele, dass jedes Bett und jede Couch belegt war.
Ich zog Elle an mich, als sie in einem Topf herumrühren wollte, und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Dann beugte ich mich zu ihrem Ohr hinunter. „Ich hatte heute morgen ganz andere Pläne, aber dann sind diese Chaoten aufgetaucht.“
Sie guckte groß, dann lachte sie auf. „Später“, flüsterte sie zurück und drückte ihre Lippen für einen viel zu kurzen Moment auf meine. „Jetzt will ich erst mal helfen.“
Oh nein. Das Dinner für heute Abend sollte genießbar werden, und ich konnte niemanden in der Küche gebrauchen, der vergaß, die in Plastik verpackten Innereien aus dem Truthahn zu entfernen, die Füllung trotzdem hineinstopfte und das Ganze so in den Ofen schob.
„Nicht nötig. Du hast an Thanksgiving schon genug geholfen“, sagte ich schnell und schob sie sanft, aber bestimmt von der Kochinsel weg.
Zum Glück klopfte es genau in diesem Moment erneut, und Elle ging – nicht ohne mir vorher noch die Zunge rauszustrecken – an die Haustür, um die letzten Besucher hereinzulassen: Emery, Dylan und Mister Cuddles. Natürlich. Beim Anblick der Katze seufzte ich innerlich.
Von meinem Platz an der Kochinsel aus beobachtete ich, wie Elle die beiden mit einer Umarmung begrüßte, dann die Katze hochhob und ihr liebevolle Worte zuflüsterte, während das Viech so laut schnurrte, dass es bis in die Küche zu hören war. Emery hatte Mister Cuddles eine kleine rote Weihnachtsmütze umgebunden, und Elle steuerte jetzt ein kleines Halsband mit Glöckchen bei. Wie die beiden das ganz ohne Wunden überstanden, war mir ein Rätsel. Das Katzenvieh hätte mir bei so einem Versuch schon längst das Gesicht zerkratzt und die Finger abgebissen.
Kopfschüttelnd widmete ich mich wieder der Soße. Zwei Schritte schräg hinter mir stand Tate am Küchentresen und schnitt die Zwiebeln so konzentriert, als würde sie gerade eine Herzoperation durchführen. Von ihr war kein einziger Ton zu hören, anders als von Mackenzie, die immer wieder hörbar schniefte. Ganz in der Nähe rührte Trevor in einem Topf herum, Paxton saß am Tisch und schälte die Äpfel für den Apple Pie, und Grace bereitete die Kartoffeln zu.
Als Mason in die Küche kam und sie entdeckte, blieb er wie angewurzelt stehen. „Du kannst kochen?“
„Ein bisschen. Es macht Spaß. Suchst du irgendetwas?“, fragte sie, da er auf einmal seine ganzen Klamotten abklopfte.
„Den Verlobungsring. Wir müssen sofort heiraten.“
Grace lief rot an, Tate schnaubte, und ich begann zu lachen.
„Hey!“, rief ich. „Ich hab schon immer für euch gekocht, aber mich wolltest du nie heiraten.“
„Ich würde dich jederzeit heiraten, Kumpel“, erwiderte Mason grinsend und hielt mir die Faust zum Fistbump hin.
„Genug Bromance für heute.“ Tate schob ihn mit der Hüfte weg. „Ich muss diese Zwiebeln anbraten. Also raus mit dir!“
Spielerisch salutierte Maze, zwinkerte Grace zu und verschwand mit ein paar Energydrinks, die er den anderen ins Wohnzimmer brachte. Nach und nach leerte sich die Küche, und bis auf Elle, die zwischendurch vorbeikam, mir ein Bier hinstellte und nach einem kurzen Kuss wieder verschwand, arbeitete ich allein vor mich hin. Ich war so konzentriert auf die Zubereitung des Truthahns, der Soßen, Füllung und Beilagen, dass ich nicht mal bemerkte, als die Katze der Hölle zur mir in die Küche kam. Ich schob den Truthahn in den Ofen, überprüfte die Temperatur, machte einen Schritt zurück – und trat auf etwas Weiches.
Ein schrilles Kreischen ertönte. Ein Fauchen. Ich sprang zur Seite, schlug mir den Ellbogen an und fluchte lautstark. Mister Cuddles sprang auf die Kochinsel, fegte so gut wie alle Schüsseln und Verpackungen auf den Boden, hüpfte wieder herunter und warf mir einen hasserfüllten Blick zu, bevor sie ins Wohnzimmer schoss, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her.
„Fuck …“ Ich rieb mir den Ellbogen. „Dylan! Schaff deine Mistkatze gefälligst weg!“
Dieses Viech … Ich könnte schwören, dass sie es nur darauf anlegte. Wer würde sich denn bitte freiwillig so dicht hinter mich stellen und seelenruhig sitzen bleiben, wenn ich am Ofen herumhantierte?
Ich rieb mir den Ellbogen und ging zu den anderen ins Wohnzimmer zurück. Mister Cuddles versteckte sich nicht unter irgendeinem Sofa, saß auch nicht leidend bei Dylan, sondern hatte sich demonstrativ auf Elles Schoß ausgestreckt. Als sie mich bemerkte, blinzelte sie mich selbstzufrieden an. Und sie gab den Platz auch nicht auf. Den ganzen Nachmittag über blieb sie dicht bei Elle, als würde sie Besitzansprüche auf sie erheben und jedes Mal, wenn ich mich meiner Freundin auch nur näherte, wurde ich mit Todesblicken und Fauchen bestraft. Ganz toll.
Erst nach dem Abendessen hatte ich Elle endlich wieder für mich und zog sie prompt auf meinen Schoß. Wir hatten uns alle zufrieden und gesättigt im Wohnzimmer versammelt. Trevor saß neben uns mit einem Punsch in der einen Hand und strich Tate, die sich auf der Armlehne niedergelassen hatte, mit der anderen unauffällig über den Rücken. Mackenzie und Desiree hatten es sich zusammen in einem Sessel gemütlich gemacht, genauso wie Dylan und Emery. Paxton und Jesse lagen auf dem Boden vor dem Kamin, in dem seit heute Vormittag wieder ein Feuer brannte, und tranken um die Wette. Kane beobachtete sie kopfschüttelnd und hielt Myung-hee in den Armen. Direkt daneben hatte sich Grace auf dem Sofa zusammengerollt, während Mason vor ihr auf dem Teppich hockte und sich an sie lehnte.
Draußen war es schon längst dunkel geworden. Der Wind pfiff um das Haus und dicke Schneeflocken fielen vom Himmel. Im Laufe des Tages waren immer mehr kleine und große Geschenke unter dem Weihnachtsbaum aufgetaucht, der jetzt noch mehr strahlte als heute Morgen. Im Hintergrund lief leise Weihnachtsmusik, und als die ersten Töne von Have Yourself a Merry Little Christmas erklangen, begann Grace zu singen. Es war das erste Mal, dass ich sie außerhalb eines Konzerts singen hörte. Die Gespräche verstummten eines nach dem anderen, und wir lauschten ihr und Mason, der sich ihr beim Refrain anschloss.
„Das ist schön“, flüsterte Elle mir zu.
Ich strich gedankenverloren über ihr Schienbein. „Besser als zu Hause?“
„So viel besser! Ich will Weihnachten nie wieder anders verbringen.“
Ich sah von ihr zu den anderen. Mittlerweile diskutierten Grace und Myung-hee über irgendetwas, das mit Mode zu tun hatte, Mason und der Rest der Band redeten über die Auftritte, die im neuen Jahr anstanden, Tate führte eine hitzige Diskussion mit Dylan, während Trevor die beiden nur mit einem belustigten Gesichtsausdruck beobachtete und Emery, Mackenzie und Desiree mit einer schnurrenden Mister Cuddles spielten.
Mein Blick kehrte zurück zu Elle, und ich konnte gar nicht anders, als zu grinsen. Weihnachten von jetzt an immer mit dieser durchgeknallten, chaotischen, bunt gemischten Gruppe von Leuten, die ich allesamt als meine Freunde bezeichnen konnte? „Das kriegen wir hin.“
„Versprochen?“
In der Regel gab ich nicht viel auf Versprechen und sprach sie auch nicht aus, wenn ich mir sicher war, sie nicht einhalten zu können. Doch das hier? Dieses Versprechen konnte und wollte ich Elle geben.
Ich drückte einen Kuss auf ihre Schläfe und verschränkte meine Finger mit ihren. „Versprochen.“
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